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Die Sache mit dem Loslassen – Girl running, boy falling

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“Girl running, Boy falling” ist ein Jugendbuch, das das Thema Selbstmord angeht. Entsprechend sieh Suizid und (funktionale) Depressionen bitte als Triggerwarnung für das Buch und diese Rezension.

Es geht um die 16-jährige Therese, die sich selbst als jemanden bezeichnet, der aus vielen Einzelteilen besteht. Sie ist Klarinettistin im Schulorchester. Sie ist Freundin ihrer Freundinnen und Freunde. Sie ist Nichte von Auntie Kath, Enkelin von Grandma T (und von Grandma Craig), spielt dieses Jahr die Hauptrolle im Schul-Musical und arbeitet bei Woolworth. Woolworth ist übrigens ein Geschäft mit Obst und Nahrungsmitteln und so – denn in Australien ist vieles anders als bei uns in Mitteleuropa. Es ist übrigens August und es ist verdammt kalt. Doch eigentlich gehr es um Wally, Thereses besten Freund, der zwar zu den Football-Typen gehört, aber stundenlang mit ihr über Tiefgründiges spricht, der mit ihr so viel gemeinsam hat, und der sich dann irgendwie verändert …

Bei dieser Buchrezension handelt es sich um eine Kooperation zwischen dem Buchensemble und dem Carlsen-Verlag.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Ich habe nicht geweint
  2. wirklich nicht!
  3. Vielleicht ein bisschen.

Mein Eindruck zu Girl running, boy falling:

Ein Mädchen rennt, ein Junge fällt. Die Reihenfolge ist im Titel komisch gewählt, denn natürlich fällt erst der Junge, und dann läuft das Mädchen weg. Therese (oder auch Resey oder Tiger) ist ein typisches 16-jähriges Mädchen: Sie ist engagiert, hat viele Freunde, liebt ihre Familie, das Backen und den Hühnerstall ihrer Oma. Girl running, boy falling ist ein authentischer und wichtiger Jugendroman. Über den Suizid / Tod Jugendlicher in der Schule hätte ich selbst gerne etwas gelesen, als die Todesfälle in meinen Jahrgangsstufen passiert wären. Unterm Strich auf jeden Fall ein lebensnaher und auf Jugendliche zugeschnittener Roman.

Stärken des Buchs:

Therese ist ein ganz liebenswürdiger Charakter. Sie malt, backt, schaut sich Football an, ist für ihre Freund*innen da, spielt im Schultheater, Klarinette im Orchester und arbeitet bei Woolworth. Ein sehr sympathisches Mädchen, das für ihre vielen Aktivitäten oft angesprochen wird: “Mach doch mal Pause!”. Aber Therese will keine Pause machen. Ihr geht es gut. Sie will auch nicht von Menschen bedrängt werden, sie will keine Gefangene sein für innere und äußere Zwänge, doch sie mag es so. Sie lebt auf einer australischen Insel und führt ein tolles Leben. Ihre Freundin Roz  ist immer lieb und auf ihrer Seite. Die Freundin Melody will nach der Schule mal Psychologin werden und übt sich schon an Therese. Was zunächst witzig und locker-fluffig wirkt, wird im verlauf der Handlung schnell zu einer einzigen Schattenseite. Das finde ich wirklich hervorragend dargestellt. Wie etwas Gutes plötzlich schlecht werden kann, wie man etwas, das man vorher begrüßt hat, plötzlich ablehnen kann und wie einfach alles zu viel wird.

Ich finde an “Girl running, boy falling” auch glaubhaft und lebendig dargestellt, wie sich derjenige, der Suizid begeht, verhält. Er hat eine funktionale Depression, versteckt alles und… na ja, funktioniert einfach. Das Thema der funktionalen Depression wird meines Erachtens eher selten dargestellt und ich glaube, es hätte hierzu noch einen informativen Anhang geben sollen. Denn Depressionen sind nach außen hin oft überhaupt nicht sichtbar, und die Figur, die diese Depression hat, verrät sich von Beginn des Buches an nur in ganz ganz winzigen Nuancen. Das ist wirklich ganz toll gelungen!

Insgesamt sind – und das findet Carlsen bestimmt toll, die Leserinnen und Leser dieser Rezension eher nicht, da sie hier abgekürzt wird – die Handlung, der sprachliche Stil, die Umsetzung und das gesamte Buchprojekt wirklich gut gelungen. Ein Lob, auf das ich im Detail nicht weiter eingehen muss, weil die genannten Punkte eine runde Handlung ergeben.

Schwächen des Buchs:

Als mich Carlsen angeschrieben und gefragt hat, ob ich dieses Buch rezensieren wollte, ist mir eines sofort negativ aufgefallen: Die vielen Namen im Klappentext! Ich habe die 238 Seiten “Girl running, boy falling” jetzt gelesen und kann euch genau sagen, wer Roz und Melody und Peter und Wally und Flo und Rhino sind. Aber die könnt ihr doch nicht alle im Klappentext erwähnen! Das war fast ein Grund, dieses Rezensionsexemplar nicht anzunehmen – umso glücklicher bin ich natürlich, dass ich es doch getan habe 😉

Aber jetzt mal im ernst: Ein bisschen schwach fand ich tatsächlich, dass das Buch an einigen Stellen so oberflächlich bleibt, dass es mich irritiert, aber nicht oberflächlich genug, damit ich mich in die Figuren hineinversetzen kann. Es werden viele Figuren eingeführt und immer wieder aus Thereses Sicht erwähnt, sie interagieren auch mit ihr, aber sie wirken wie NPCs in einem Computerspiel. Sie sind da, um eine Aufgabe zu erfüllen, um die Geschichte weiterzubringen und die Buchseiten zu füllen. Sie haben kein wirkliches Eigenleben, und das ist sehr schade. Ich würde in dieser Rezension dennoch keine großen Abzüge wegen dieser Schwächen machen, da das alles auch gewollt sein kann. Ich habe in meiner Schulzeit selbst mehrmals Mitschüler an den Tod verloren und weiß, wie es sich dann zu dieser Zeit anfühlt: Nämlich genau so! Die Leute sind NPCs, sie erfüllen nur eine Rolle. Sie reden und tun oder nerven oder fehlen oder sonstwas, aber diese Ich-Bezogenheit von Resey kann ich sehr gut nachvollziehen. Wer das noch nicht selbst erlebt hat, würde sich vielleicht über einen Anhang im Buch freuen, der über die Sorgentelefon-Nummern hinausgeht. Ein bisschen mehr Einblick in das Wahrhaftige der Geschichte und in die Tatsache, dass es nicht unnormal ist, so zu sein wie Therese oder wahlweise genau das Gegenteil zu sein, das wäre toll gewesen.

Ein bisschen schwach fand ich übrigens auch den Beginn: Ohne zu viel spoilern zu wollen (aber ihr wisst, von welchem Thema das Buch handelt): Die Geschichte beginnt erst nach knapp über 100 Seiten (von 238 Seiten). Am Anfang war sehr viel Vorprägung, sehr viel Leserbindung an die Charaktere, damit das Buch gut funktionieren soll, aber es hätte auch mit weniger “handlungslosem Freizeit-Protokoll” von Therese und ihren Freunden und Aktivitäten funktioniert.

Übrigens habe ich in diesem Buch den obligatorischen das-dass-Fehler nicht gefunden (oder mir zumindest nicht behalten) ;D

Mein Fazit zu Girl running, boy falling:

Girl running, boy falling ist ein ganz toller Titel. Er ist glaubwürdig und authentisch und wichtig und berührt Erwachsene ebenso, wie er Jugendliche mitreißt. An einigen Ecken und Kanten hat mir etwas gefehlt, aber alles in allem kann ich diesen Titel einfach nur weiterempfehlen. Ich bedanke mich bei Carlsen für das Rezensionsexemplar.

Du willst mehr von Kia lesen? Hier gelangst du zu ihren Rezensionen.

Girl running, boy falling

Kate Gordon

Jugendbuch
Softcover, 240 Seiten

erschienen bei Carlsen

02. Juli 2020

ISBN 978-3-551584168


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Der Beitrag Die Sache mit dem Loslassen – Girl running, boy falling erschien zuerst auf Buchensemble.


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